Nächstenliebe aufnehmen und ausgeben
Er war nicht gekleidet wie ein Priester, bewegte sich locker und ganz ungezwungen. Ein weißes Polohemd und eine schwarze Hose trug Pfarrer Rainer Maria Schießler, Autor des Bestsellers Himmel, Herrgott, Sakrament, zum Auftakt des Literaturherbstes Krumbach vor 200 Zuhörern in der Halle der örtlichen Raiffeisenbank.
Er ist Pfarrer, und er hat das Zeug zum Medienstar. Rasch verließ er den Schutz des Rednerpultes, stellte sich frei vor das Publikum und sprach frei. Mehrere klare Grundsätze geben seinem steten Redefluss Struktur, ansonsten schöpft er aus einem gewaltigen Reservoir an Beispielen, Anekdoten, witzigen, teilweise selbstironischen Bemerkungen. Dem Publikum bot er dichte 100 Minuten, unterhaltsam und spannend, anrührend und anregend. Nähe zum Publikum stellt er gleich zu Beginn über die Mundart her und dadurch, dass er viel von sich selbst preisgibt. Er vertritt einen Glauben, den er als echt und ehrlich bezeichnet, der seine Probleme mit Prinzipien und Dogmen hat, der von Wundern, Mysterien und Sensationen nichts hält. Die Kirche sieht er als großes Haus, in dem jeder Platz hat und in dem keiner von der „Mahlzeitgemeinschaft“ ausgeschlossen werden darf. Die Kommunion wieder verheirateten Geschiedenen, Schwulen oder Mitgliedern der evangelischen Kirche zu verweigern, ist für Pfarrer Schießler ein Unding. Er macht sich für die Handkommunion stark. Gerade diese Geste sei so aussagestark und wertvoll: Da hält einer die leere Hand auf und zeigt damit seinen Hunger und seine Bedürftigkeit. Und in dieser leeren Hand findet nun Gott in Form der Hostie Platz. Es sind diese einfachen und starken Bilder, mit denen Pfarrer Schießler zu überzeugen sucht. Er berichtet von einer Weihnachtspredigt, bei der ein Pfarrer den Gläubigen seine Hand zeigte, gefüllt mit Stroh. Das sei das Stroh aus seinem Kopf, erklärte der Geistliche, es zeige seine Unzulänglichkeit, Bedürftigkeit und Not an. Genau in dieses Stroh legt sich Gott bei seiner Menschwerdung. Gott begebe sich in die Schwachheit hinein, um zu helfen und zu heilen. Auch das ist ein schlagendes Beispiel für Schießlers zentrales Anliegen: Es gehe darum, Nächstenliebe mit jeder Faser aufzunehmen und auszugeben.
Das wiederum müsse in jeder Verkündigung spürbar sein. Die Kirchenbesucher brauchten keine theologische Vorlesung, sie müssten sich angesprochen fühlen und etwas mitnehmen können. Es gebe viele Berufene, die den Glauben vertreten könnten, und die Kirche verspiele viel von ihrem Zukunftspotenzial und ihrer Chance, lebendige Kirche zu sein, indem sie Frauen, verheiratete Männer und Laien ausschließe. Von Papst Franziskus fühlt Pfarrer Schießler sich bestätigt. Endlich vertrete ein Kirchenoberhaupt, was er, Schießler, schon lange predige und praktiziere. An dieser Stelle blitzte wieder der Medienstar auf, denn Schießler fragte, durchaus mit einem Schuss Selbstironie, ob der Papst all das von ihm abschreibe.
Man brauche für den Literaturherbst nicht mehr zu werben, er treffe den Nerv der Zeit, erklärte Bürgermeister Hubert Fischer in seinem Grußwort zur Auftaktveranstaltung 2016. Bankdirektor Uwe Köhler setzte noch eins drauf: Was für Nordrhein-Westfalen das Literaturfestival Köln sei, das sei für Bayern der Literaturherbst Krumbach.